1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst dann zu laufen, wenn eine kündigungsberechtigte Person von den Umständen positive Kenntnis erlangt hat, die den Arbeitgeber zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. Der Kündigungsberechtigte muss allein aufgrund seines tatsächlichen Kenntnisstands und ohne weitere Nachforschungen seine Kündigungsentscheidung abschließend treffen können.
2. Auf die Kenntnis einer Compliance-Abteilung kommt es nicht an, soweit diese nicht zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt ist.
3. Auf die frühere Kenntnis einer nicht-kündigungsberechtigten Person kann aber abgestellt werden, wenn - diese Person eine Position und Funktion innehat, dass sie die Sachlage tatsächlich und rechtlich so überschauen kann, um zu erkennen, dass eine Kündigung in Erwägung zu ziehen sein könnte. Das kann auf den Leiter einer Compliance-Abteilung zutreffen und - die verzögerte Weiterleitung der Informationen an die kündigungsberechtigten Personen auf Vorsatz oder jedenfalls auf einer unsachgemäßen Organisation beruht.
4. Achtung: Die Erklärungsfrist für eine Verdachtskündigung bei partiellen Vorab-Informationen der Compliance-Abteilung kann ggfs. gesondert anlaufen.
Nach diesem Urteil beginnt im Falle einer großen Comliance untersuchung die Frist zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung erst mit dem abschließenden Bericht Eine Verzögerung des Zugangs des Berichts und damit Verhinderung des Fristbeginns ist nur dann beachtlich, wenn die Kenntnisnahme treuwidrig nach hinten geschoben wurde.
Im zu entscheidenden Fall wurden erhebliche, für das Unternehmen bedeutende Verstöße eines Mitarbeiters vermutet. Es wurde daher ein Compliance-Team gebildet und eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Untersuchung des Vorfalls beuaftragt. Gemeinsam mit dem Compliance-Team ermittelten die Rechtsanwälte sehr umfangreich. Nach etwa elf Monaten erstellte die Rechtsanwaltskanzlei einen vorläufigen Bericht für die Geschäftsführung. Zehn Tage nach Erhalt dieses Berichts kündigte der Geschäftsführer dem Vertriebsleiter außerordentlich. Dagegen erhob der Arbeitnehmer erfolgreich Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Ulm (Urteil vom 10. November 2020 – 8 Ca 193/19). Das Urteil wurde von dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 03. November 2021 – 10 Sa 7/21) bestätigt, fiel aber vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG).
Nach Auffassung des BAG hat der Arbeitgeber im vorliegenden Fall die zweiwöchige Ausschlussfrist zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs.2 Satz 1BGB eingehalten. Diese habe erst mit dem Zugang des Zwischenberichts der Rechtsanwaltskanzlei an den Geschäftsführer begonnen. Denn erst dieser Untersuchungsbericht habe alle Tatsachen enthalten, die für die Bewertung der Pflichtverletzung und die Herausarbeitung der Beteiligung der 89 Personen wichtig waren.
Dies ändert sich nicht dadurch, dass der Leiter des Compliance-Teams regelmäßig über die jüngsten Ermittlungsergebnisse informiert wurde. Es sei bereits nicht festgestellt worden, wann und welche Ergebnisse ihm konkret bekannt waren. Aber selbst, wenn er bereits vor dem Berichtszugang vollständig informiert gewesen wäre, wäre dieser Umstand unerheblich. Denn es komme einzig und allein auf die Kenntnis eines kündigungsberechtigten Mitglieds des Unternehmens – hier die Geschäftsführung – an.
Etwas anderes gelte nur im Falle einer treuwidrigen Verzögerung der Kenntnisnahme der kündigungsrelevanten Tatsachen nach § 242 BGB. So ergäben die Feststellungen des landesarbeitsgerichtlichen Urteils keine Anhaltspunkte für eine zielgerichtete Vereitelung des Informationsflusses hin zur Geschäftsführung. Selbst wenn man von einem Organisationsverschulden ausginge, begründete das noch keine unzulässige Behinderung, sondern höchstens grobe Fahrlässigkeit. Im Übrigen spräche der Umstand, dass die interne Untersuchung auf Initiative des Compliance-Teams unterbrochen wurde, um die bislang gewonnen Erkenntnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung aufzuarbeiten und diese vollumfänglich zu informieren, gegen eine treuwidrige Behinderung.
Fazit und Hinweise für die Praxis:
Erlangt der Kündigungsberechtigte von den für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis, so kann die Kündigung ab diesem Zeitpunkt nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Kündigungsberechtigt sind grundsätzlich die für die Kündigung zuständigen gesetzlichen oder satzungsgemäßen Organe oder Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur Kündigung übertragen hat. Der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts, nach pflichtgemäßem Ermessen aus Sicht des Arbeitgebers, notwendig erscheinenden Maßnahmen mit der gebotenen Eile durchführt. Im Ergebnis ist dies auch im Sinne des Arbeitnehmers, da dieser so vor einem voreiligen Kündigungsausspruch bewahrt wird.
Für die Durchführung der Ermittlungen gibt es keine starre Regelfrist. Die Umstände des Einzelfalls sind im Ergebnis entscheidend, wie lange die Untersuchungen andauern dürfen, ohne, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB in Gang gesetzt wird. Der Sachverhalt aus dem vorgenannten Urteil wird in der Regel nicht auf einfach gelagerte Sachverhalte mit lediglich einem Beteiligten übertragen lassen.
Der Arbeitgeber kann sich gem. §242 BGB nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn der Kündigungsberechtigte allein aufgrund eines Organisationsverschuldens verspätet Kenntnis erlangt und der nicht kündigungsberechtigte Mitarbeiter, der bereits früher Kenntnis erlangt hat, eine ähnlich selbständige Stellung wie der Kündigungsberechtigte hat. Das BAG hat betont, dass nicht jedes Organisationsverschulden des Arbeitgebers allein geeignet ist, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB auszulösen. Allein die Tatsache, dass der Kündigungsberechtigte nicht regelmäßig nach dem Stand der Ermittlungen fragt, begründet grundsätzlich noch kein relevantes Verschulden. Dies entspricht ebenfalls dem Wortlaut des § 626 Abs. 2 BGB, der die positive Kenntnis und gerade nicht die (grob fahrlässige) Unkenntnis